Der Überflieger - Orville Wright
Die Brüder Wright aus Ohio waren die ersten, die Flugapparate mit Steuervorrichtung und Motorantrieb bauten.
Im September 1909 begann in Deutschland die Luftfahrt. Orville Wright flog auf dem Tempelhofer Feld vor bis zu 150.000 begeisterten Zuschauern, darunter auch der Kaiser und die Kaiserin, jeden Tag neue Bestleistungen und überbot am 17.09. den Höhenflugrekord eines Fesselballons (172 m) und am nächsten Tag den Dauerflugrekord mit einem Passagier (35 Minuten und 47 Sekunden).
Rechts: Zehntausende wollten den Überflieger sehen.
Links: Die erste deutsche Frau, die in einem Flugzeug flog, war Hauptmann Erna Hildebrandt.
Rechts: Der Kronprinz im Gespräch mit Orville Wright.
Orville Wrights glücklichster und unglücklichster Flug.
Ein Interview
Text und Bilder: "Die Woche" Berlin, Heft 35 vom 28. August 1909
Mein glücklichster Flug ? Es ist für mich sehr schwer, zu sagen, welches mein glücklichster Flug gewesen ist ! Denn die meisten meiner Flüge waren glückliche, und da ist die Wahl nicht leicht, gerade den einen herauszugreifen, den ich den glücklichsten nennen soll.
Der Luftsport ist meiner Ansicht nach der anziehendste und anregendste, den es gibt. Es wird dies schon dadurch bewiesen, dass fast jeder, der sich ihm widmet, bald vollkommen von der Luftschifffahrt eingenommen ist. Wie herrlich ist es, losgelöst von der Scholle, in ruhigem Aether mühelos an Bord eines Luftschiffs dahinzuschweben und den Blick über die weiten Fluren und Felder schweifen zu lassen. Immer neue Reize tun sich dem Aeronauten auf, und in den begeisterten Schilderungen der Alten und der Jungen kann man es lesen, dass die Genüsse einer Luftfahrt schier unermesslich sind. Und nun gar das Luftfahren in einem Luftschiff "schwerer als die Luft" ! Es überkommt den Menschen ein Gefühl des Frohsinns, wenn er so leicht durch die Luft dahinfliegt. Man empfindet großen Genuss, der wohl seinen Grund haben mag in der Befriedigung einer angeborenen, uns vererbten Sehnsucht, die aus den Tagen datiert, als unsere Vorfahren verwundert den freien Flug der Vögel anstarrten und ihm ihre eigenen kleinen, mühsam errungenen Fortschritte in der endlosen Wildnis gegenüberstellten.
Ich habe bald nach dem Tod des großen Meisters der Fliegekunst, des deutschen Ingenieurs Otto Lilienthal, angefangen, mich mit meinem Bruder der Aviatik zu widmen; anfangs nur aus wissenschaftlichem Interesse, bald aber völlig gefangen durch den schönen Sport. Ich habe fast tausend Gleitflüge ausgeführt und die meisten glücklich beendet; Havarien blieben natürlich auch gelegentlich nicht aus, wie sie wohl bei keinem Sport je ganz ausbleiben werden.
Und dann kam der große Fortschritt ! Wir glaubten unserer Sache sicher zu sein; in wechselndem Wind hatten Wilbur und ich unseren Gleitflieger erprobt, alles hatte ausgezeichnet funktioniert, und wir vermochten schnell eintretende seitliche Windstöße durch unsere Steuereinrichtungen unschädlich zu machen. So hatten wir den großen Schritt vorwärts getan und einen Motor in unsere Maschine eingebaut.
Am 17. Dezember 1903 sollte es sich zeigen, ob unsere Berechnungen richtig, ob unserer Schlüsse zutreffend waren. Auf unserem alten Übungsfeld in Kill Devil bei Kitty Hawk in den Dünen am Atlantischen Ozean wurde in Gegenwart von nur fünf Personen an einem kalten Tag bei schneidendem Wind der erste Versuch mit unserem Motordrachenflieger angestellt. Voll Spannung erwarteten wir das Resultat. Wir standen vor der bangen Ungewissheit, wie sich unser Aeroplan nun in der Luft zeigen würde. Wird er fliegen oder nicht. Voll Freude waren wir dann, als wir sahen, dass unsere Maschine genau so gut flog wie früher der Gleitflieger.
Für jenes Jahr gaben wir uns mit diesem Erfolg zufrieden und nahmen erst 1904 die Versuche, und zwar auf der Huffmann Prärie, 10 Meilen von unserer Heimatstadt Dayton, wieder auf. Es kam nun darauf an, den Drachenflieger mit einem Mann an Bord im freien Flug zu versuchen.
Das Los, den ersten Flug zu wagen, traf mich. Es war ein schöner, windstiller Septembertag, als ich die Vorbereitungen zum Aufstieg traf. Ich war wohl etwas aufgeregter als sonst, als ich den Führersitz bestieg. Ein Druck auf die Auslösevorrichtung, der Flieger glitt mit wachsender Geschwindigkeit auf der Holzschiene vorwärts, eine kleine Bewegung des Höhensteuers, und der Aeroplan flog; flog wirklich wie ein Vogel und gehorchte willig der Hand seines Lenkers. Die Frage des Vogelflugs war damit gelöst. Das war wohl einer meiner glücklichsten Augenblicke.
Später lernte ich meinen Flieger immer mehr beherrschen, beschrieb mit ihm Kreise und Kurven, und bald vermochte ich auch zum Abflugsort mühelos wieder zurückzukehren. Jeder neue Erfolg weckte neue Freude, aber doch bleibt die Erinnerung an jenen ersten Flug in der Motorflugmaschine die herrlichste.
Und nun mein unglücklichster Flug ! Hier kommt nur ein einziger in Betracht, der allerdings so verhängnisvolle Folgen gehabt hat, dass die Erinnerung daran sehr trübe Gedanken bei mir auslöst.
Ich hatte am 3. September 1908 die von der amerikanischen Regierung vorgeschriebenen Abnahmeflüge begonnen und bereits sechs Tage später den bekannten Aerostatiker Leutnant F.P. Lahm als Passagier mitgenommen. Am 12. September nahm Major Squire vom Signalcorps an meiner Seite Platz und am 17. Leutnant Seldfridge. Ich war voller Zuversicht, war es mir doch wenige Tage vorher gelungen, mit einem Flug von einer Stunde 15 Minuten 20 Sekunden einen Rekord aufzustellen.
Auch an jenem Unglückstage ging zunächst alles gut. Leicht stieg der Aeroplan in die Luft, und völlig gehorchte er jedem Druck der Steuerhebel. Nach drei Minuten und zwei Sekunden befand ich mich in einer Höhe von 150
Fuß über dem Boden, als plötzlich mit scharfen Knall ein Draht an der Steuerung riss. Sofort wurden anderer Drähte schlaff, und die Steuerung versagte völlig. Der Flieger geriet ins Kippen, und ich bemerkte, dass auch die vorher noch straff gespannten Tragflächen schlaff geworden waren. Im nächsten Augenblick neigt sich der Aeroplan , und kopfüber geht es der Erde zu. Ich hatte gar keine Zeit die Besinnung zu verlieren, und versuchte noch im letzten Augenblick, das Höhensteuer zu betätigen. Es schien mir, als ob die Maschine hierauf reagierte und sich wieder aufrichten wollte, aber es war zu spät. Die Folgen sind bekannt; sie waren so traurig, dass es mir unmöglich ist, ihrer wieder Erwähnung zu tun. Das war mein unglücklichster Flug !
Gottlob ist es seither wieder gut gegangen, und ich hoffe, dass ich auch in Zukunft nur von glücklichen Flügen werde erzählen dürfen.